Gerade im wertebasierten Vertrieb von Fairstärkern fehlt es gefühlt an Verbündeten in einem Markt voller unfairen Spielregeln. Das Fairantwortung-Unternehmen Sales4Good lädt ein, Sales neu zu denken und bietet mit den DIY Sales Circles einen geschützten Raum für Austausch, gemeinsames Lernen und gegenseitige Fairstärkung. Aber warum brauchen wir das? Andrea Mörike hat die Erkenntnisse des FairDeepDives zum Thema ethischer Vertrieb für uns zusammengefasst.
Was ist da los im Sales? Warum müssen wir Sales neu denken?
Im Rahmen des FairDeepDives am 5. Februar 2025 haben wir gemeinsam mit den Teilnehmenden erarbeitet, warum es höchste Zeit ist, Sales neu zu denken und zu leben.

Wir haben uns in einem Brainstorming dem Problem und seinen Auswirkungen sowie Ursachen genähert. Was läuft schief im Sales? Warum wollen (immer weniger?) Menschen selbst gute und nachhaltige Produkte verkaufen? Das hat damit zu tun, dass Sales, wo wie wir ihn alle kennen und erleben, unethisch betrieben wird. Dies haben wir näher spezifiziert:
Was ist unethischer Sales?
Es beginnt oft subtil: Ein künstlich aufgebauter Zeitdruck, der suggeriert, dass man jetzt entscheiden muss – sonst verpasst man angeblich etwas Großes. Suggestivfragen, die nicht wirklich Raum für ehrliche Antworten lassen. Oder unterschwellige Angstbotschaften, die mit „Fear, Uncertainty, Doubt“ – also Furcht, Unsicherheit und Zweifel – bewusst ein Gefühl der Alternativlosigkeit erzeugen.
Hinzu kommen intransparente Preise, die sich erst auf den zweiten Blick als Kostenfalle entpuppen: versteckte Gebühren, undurchsichtige Abosysteme oder vermeintliche Rabatte, die mehr verwirren als Klarheit schaffen. Wer hier kauft, tut das oft mit einem mulmigen Gefühl – oder bereut es kurz darauf.
Nicht selten wird übertrieben, beschönigt oder sogar getäuscht: Produkte, die mehr versprechen, als sie halten – oder Nachhaltigkeitsversprechen, die bei genauerem Hinsehen ins Leere laufen. Greenwashing ersetzt echte Verantwortung, und die Wahrheit wird weichgespült oder schlicht verschwiegen.
Dazu kommt ein Mangel an Respekt: Menschen werden ungefragt kontaktiert, trotz klarer Absagen immer wieder nachgefasst. Standardisierte Massenmails mit generischen Botschaften ignorieren, wer da eigentlich am anderen Ende sitzt. Persönliche Grenzen werden übergangen, ein „Nein“ wird nicht gehört – oder bewusst ignoriert.
Und schließlich fehlt es oft an echter Verantwortung: Wenn Verkaufszahlen wichtiger sind als Menschen, wenn Daten sorglos weitergegeben werden, wenn Provisionen über Sinn und Nutzen gestellt werden – dann bleibt nichts außer einem bitteren Beigeschmack. Vor allem, wenn das verkaufte Produkt keinen echten Mehrwert bietet.
Fazit: Unethischer Sales stellt kurzfristigen Erfolg über langfristige Beziehung und gemeinsamen Nutzen – und schadet damit allen Beteiligten. Das haben wir uns dann genauer angeschaut.
Negative Auswirkungen unethischer Sales-Praktiken
So haben wir im zweiten Teil gemeinsam überlegt, welche negativen Auswirkungen diese Praktiken mit sich bringen. Wir haben dies aus vier verschiedenen Perspektiven beleuchtet:
1. Was macht unethischer Vertrieb mit der Sales-Person?
Wenn Menschen im Vertrieb ständig gegen ihre Überzeugungen arbeiten müssen, zehrt das an ihnen. Sie spüren: So will ich eigentlich nicht verkaufen. Doch der Druck, Ziele zu erreichen, lässt oft wenig Raum für echtes Zuhören, ehrliche Beratung oder einen wertschätzenden Umgang. Statt Begeisterung wächst das Gefühl, etwas zu tun, das sich nicht richtig anfühlt. Der innere Wertekonflikt wird zum ständigen Begleiter – und mit der Zeit zur Belastung. Viele verlieren den Sinn in ihrer Arbeit, zweifeln an sich selbst oder brennen aus. Gerade Menschen, die mit Herz, Haltung und Verantwortung verkaufen wollen, geraten so in eine emotionale Zwickmühle, aus der sie sich oft nur durch Rückzug befreien können.
Wer dauerhaft im Konflikt mit den eigenen Werten verkauft, zieht sich innerlich zurück. Statt mit Neugier und Begeisterung zu kommunizieren, wird der Griff zum Hörer zur Überwindung. Mails bleiben liegen, Gespräche werden aufgeschoben – nicht aus Faulheit, sondern aus Selbstschutz. Die Betroffenen vermeiden Verkaufsaktivitäten, um sich nicht wieder in eine Rolle zwingen zu müssen, die sich falsch anfühlt. Diese stille Form der inneren Kündigung bleibt oft lange unbemerkt, führt aber dazu, dass Potenziale ungenutzt bleiben – und Menschen, die eigentlich großartige Berater:innen und Möglichmacher*innen wären, ihre Kraft verlieren.
2. Welche Konsequenzen haben unethisches Praktiken für das Sales-Unternehmen?
Unethische Sales-Praktiken schaden nicht nur den Kunden, sondern haben auch gravierende Folgen für das Unternehmen, das sie anwendet. Kurzfristige Umsatzsteigerungen durch manipulative Verkaufstechniken können schnell in langfristige Probleme umschlagen, die den Erfolg und die Nachhaltigkeit des Unternehmens gefährden. Unethischer Vertrieb wirkt sich langfristig negativ auf das gesamte Unternehmen aus – nicht nur finanziell, sondern auch hinsichtlich Mitarbeiterzufriedenheit und Markenimage. Mitarbeitende spüren Frust, Sinnverlust und innere Zerrissenheit. Die Motivation sinkt, die Identifikation mit dem Unternehmen schwindet – nicht selten folgen Krankheitstage, stille Kündigungen oder tatsächliche Wechsel.
Auch auf Kundenseite bleiben die Folgen nicht aus: Wer sich einmal manipuliert fühlt, kommt selten zurück. Statt Vertrauen entstehen Misstrauen und Distanz. Rückerstattungen häufen sich, Verträge werden storniert, Beziehungen brechen ab – und mit ihnen die Basis für nachhaltiges Wachstum. Das Image leidet ebenfalls: Negative Erfahrungen sprechen sich schnell herum, insbesondere in Zeiten von Social Media und Online-Bewertungen. Potenzielle Kund*innen werden abgeschreckt, der Ruf des Unternehmens erodiert – oft leise, aber spürbar.

Gleichzeitig verpasst das Unternehmen wichtige Chancen zur Weiterentwicklung. Wenn Kund*innen nicht offen sprechen, weil sie sich nicht sicher oder gesehen fühlen, fehlen wertvolle Impulse für Produktinnovationen. Ein zu starker Fokus auf kurzfristige Abschlüsse lässt kaum Raum für Nachhaltigkeit und echte Kundenzentrierung. Finanziell wird es teuer: Die Kosten für Neukundenakquise steigen, ebenso wie die Ausgaben für Reklamationen, juristische Konflikte und interne Reibungen. Statt effizient zu wachsen, gerät das Unternehmen in einen ständigen Reparaturmodus.
Und nicht zuletzt leidet die Unternehmenskultur: Wenn einzelne Abteilungen auf kurzfristige Sales-Ziele hinarbeiten und andere die negativen Konsequenzen tragen, entstehen Spannungen und Gräben. Das Betriebsklima kühlt ab, und die Produktivität sinkt – schleichend, aber spürbar.
Insgesamt gefährdet unethischer Vertrieb die langfristige Stabilität und Wettbewerbsfähigkeit eines Unternehmens, da kurzfristige Gewinne über echte, nachhaltige Kundenbeziehungen gestellt werden.
3. Welche negativen Konsequenzen ergeben sich für den „Buyer“ und dessen Organisation?
Unethische Vertriebspraktiken treffen nicht nur den Anbieter – sie hinterlassen auch auf der Käuferseite tiefe Spuren. Was mit einer übergriffigen Verkaufsmasche beginnt, kann schnell zu einem Vertrauensbruch werden, der bestehende Partnerschaften ins Wanken bringt. Wenn Kund*innen das Gefühl haben, manipuliert oder in eine Entscheidung gedrängt worden zu sein, bleibt Misstrauen zurück – und mit ihm die Frage: Wem können wir überhaupt noch vertrauen?
Doch der Schaden bleibt nicht auf der emotionalen Ebene. Wenn Produkte oder Dienstleistungen nicht halten, was sie versprechen, wird es schnell teuer: Anpassungen, Notlösungen, Ersatzkäufe – all das kostet Zeit, Geld und Nerven. Ganze Projekte geraten ins Schlingern, Prozesse stocken, Ziele rücken in weite Ferne. Und die Menschen, die Verantwortung tragen, stehen unter Druck. Sie zweifeln an ihren Entscheidungen, an ihren Einschätzungen – und nicht selten auch an sich selbst.
Diese innere Belastung greift um sich. Frustration, Schuldgefühle und Demotivation breiten sich aus und wirken wie ein unsichtbares Gift im Arbeitsalltag. Aus einem einmaligen Vorfall wird ein tiefer Riss im Vertrauen – nicht nur gegenüber dem Anbieter, sondern oft auch innerhalb des eigenen Teams.
Gleichzeitig wird aus Schaden klug – doch der Preis ist hoch. Um sich in Zukunft zu schützen, greifen Unternehmen zu immer strengeren Prozessen, schaffen neue Kontrollinstanzen, formulieren seitenlange Vergabekriterien. Was einst partnerschaftlich und flexibel war, wird bürokratisch und schwerfällig. So geht Effizienz verloren – und das Klima des Miteinanders gleich mit.
Im schlimmsten Fall entsteht eine Atmosphäre der Abschottung. Statt auf Augenhöhe zu kooperieren, verschließen sich Unternehmen gegenüber neuen Partnern, aus Angst vor weiteren Enttäuschungen. Innovationen bleiben außen vor – Misstrauen regiert.
Die Folgen unethischer Vertriebspraktiken sind vielschichtig. Sie reichen weit über den Moment des Verkaufs hinaus und untergraben das Fundament guter Zusammenarbeit: Vertrauen, Verlässlichkeit und gegenseitiger Respekt. Wenn diese Werte verloren gehen, leidet nicht nur der Umsatz – sondern die Kultur des Wirtschaftens insgesamt. Und das hat Auswirkungen auf uns alle.
4. Welche Auswirkungen hat unethischer Sales auf People & Planet?
Wenn Vertrieb nur dem schnellen Abschluss dient, zahlen am Ende nicht nur Kund*innen und Mitarbeitende den Preis – sondern auch unsere Umwelt und die Gesellschaft als Ganzes. Ressourcen werden verschwendet, als wären sie unendlich. Wälder verschwinden, Böden werden ausgebeutet, Luft und Wasser verschmutzt – oft, um Produkte zu verkaufen, die niemand wirklich braucht oder die unter zweifelhaften Bedingungen hergestellt wurden.
Der Preis ist hoch: gesundheitliche Schäden, soziale Ungerechtigkeiten und das stille Wissen, dass unser Wirtschaften auf Kosten derer geht, die am wenigsten dafür können – und auf Kosten künftiger Generationen. Gleichzeitig schwindet das Vertrauen in Unternehmen, die sich Nachhaltigkeit auf die Fahne schreiben, aber in Wahrheit auf intransparente oder manipulative Sales-Praktiken setzen. Dieses Misstrauen trifft auch jene, die es ehrlich meinen – und macht echte Veränderung schwerer.
Statt in sinnvolle Innovationen und nachhaltige Beziehungen zu investieren, wird kurzfristig „verkauft, was geht“ – oft auf Kosten von Klima, Ressourcen und Menschlichkeit. Das feuert Überkonsum und Energieverschwendung weiter an. CO₂-Emissionen steigen, Müllberge wachsen, und echte Lösungen bleiben auf der Strecke.

Auch strukturell richtet dieses Verhalten Schaden an: Kleine, lokal verankerte Unternehmen werden systematisch benachteiligt. Wo Verkaufsdruck, Rabattschlachten und aggressive Taktiken regieren, haben kooperative, faire und gemeinwohlorientierte Geschäftsmodelle kaum eine Chance. Dabei wären gerade sie der Schlüssel zu einer nachhaltigeren, gerechteren Wirtschaft.
Wenn wir so weitermachen, verspielen wir nicht nur Vertrauen, sondern unsere Zukunft. Doch es gibt eine Alternative: Ein ethischer, bewusster Vertrieb, der zuhört statt zu überreden, der Mehrwert schafft statt zu manipulieren – und der erkennt, dass wahres Wachstum nicht nur an Umsatzzahlen, sondern an Wirkung für Mensch und Planet gemessen werden sollte.
All das geschieht nicht zufällig. Niemand wacht morgens auf und entscheidet sich bewusst dafür, Natur, Menschen oder Beziehungen zu schädigen. Die Gründe liegen tiefer – in Systemen, Denkweisen und Anreizstrukturen, die seit Jahrzehnten den Ton angeben. Wenn wir wirklich etwas verändern wollen, reicht es nicht, nur die Symptome zu beklagen. Wir müssen den Ursachen ins Auge sehen: Was bringt Menschen dazu, so zu verkaufen? Welche Muster, Mechanismen und Missverständnisse halten unethisches Verhalten am Leben – selbst bei denen, die es eigentlich besser wissen oder anders wollen?
Nur wenn wir verstehen, warum es so weit kommt, können wir Wege finden, wie es anders gehen kann. Und genau das haben wir uns im dritten Teil der Session angeschaut.
Warum? Was sind die Ursachen unethischer Salespraktiken?
Unethischer Vertrieb ist kein Zufall. Er ist das Resultat eines Systems, das viele von uns seit Jahren formen – oder in dem wir selbst geformt wurden. Hinter jeder manipulativen Taktik, jedem übertriebenen Versprechen und jedem Verkaufsdruck steht nicht einfach ein „schlechter Mensch“, sondern ein Netz aus Anreizen, Glaubenssätzen und Strukturen, das diese Verhaltensweisen normalisiert – oft sogar belohnt.
In vielen Unternehmen zählt nur der schnelle Abschluss. Der Sieg über die Konkurrenz. Die nächste große Zahl im Quartalsbericht. Wer kooperiert, statt zu konkurrieren, gilt als schwach. Wer Rücksicht nimmt, riskiert, auf der Strecke zu bleiben. So entsteht eine Kultur, in der Vertriebsmitarbeitende gegeneinander antreten, in der der persönliche Sinn ihrer Arbeit verblasst und nur noch der Umsatz zählt. Menschliche Werte? Nachhaltigkeit? Vertrauen? Viel zu oft untergeordnet – oder gar lächerlich gemacht.
Der Druck, Geld zu verdienen – für sich selbst, fürs Unternehmen, für Investoren – lässt viele über Grenzen gehen, die sie eigentlich nie überschreiten wollten. Wenn die Miete fällig ist, der Bonus das Überleben sichert oder der Status das Selbstwertgefühl stützt, wird Manipulation plötzlich rational erklärbar. Und wenn alle es tun – warum sollte man selbst der oder die Erste sein, der „Nein“ sagt?
Diese Dynamiken wurzeln tief: im Shareholder-Value-Denken, in patriarchalen Erfolgsidealen, in der Wegwerfgesellschaft, in Unternehmen, die Fehler nicht als Lernchance, sondern als Schwäche sehen. Vertrieb wird zum Kampf, in dem Empathie kein Platz hat. Ein Spielfeld für Gier, Eitelkeit und Kontrolle – statt für echte Verbindung, gegenseitiges Verstehen und gemeinsamen Fortschritt.
Und so entsteht ein Teufelskreis: Wer verkauft, verliert den Sinn. Wer kauft, verliert das Vertrauen. Und die Welt verliert – Ressourcen, Chancen, Beziehungen. Doch das muss nicht so bleiben. Denn: Wer die Ursachen erkennt, kann auch neue Wege gehen. Wege, die auf echten Werten gründen. Auf Kooperation statt Konkurrenz, Transparenz statt Täuschung, und Sinn statt kurzfristigem Gewinn. Was es braucht, ist kein perfektes System – sondern den Mut zum Umdenken. Und den Glauben daran, dass es anders geht. Besser. Menschlicher. Zukunftsfähiger.
Ethischer Sales in der Praxis bei WEtell
Wie man es anders machen kann teilte am Schluss der Session der Fairantworter WEtell. Grey Resor berichtete aus seinem Alltag. Hierbei stachen zwei in der Branche sehr unüblichen Praktiken positiv hervor: Das Salesteam von WEtell kommuniziert zum einen von vornherein Beschränkungen (wie Netzabdeckungen) offen und zum anderen bieten sie transparente Verträge, die jederzeit kündbar sind, um so ein Vendor-Lock-In zu vermeiden und den Kunden Freiheit zu lassen. Mehr dazu lest Ihr im Interview mit Grey von WeTell auf dem Blog von Sales4Good.
Autorin: Andrea Mörike, Mitgründerin Sales4Good